Der Architekt und Autor Eyal Weizman leitet das Centre for Research Architecture an der Goldsmiths-Universität in London. In seiner aktuellen Arbeit untersucht er das „geringere Übel“ (lesser evil), das Dilemma einer notgedrungenen Wahl in Situationen, in denen die verfügbaren Möglichkeiten begrenzt sind oder zu sein scheinen. Die Bedingungen, die diese Wahl strukturieren, bestätigen ein ökonomisches, im Zentrum der Ethik eingebettetes Modell, nach dem zahlreiche Formen des Übels berechnet, verglichen und dadurch minimiert werden können. In seinen verschiedenen Ausprägungen funktioniert das Prinzip des geringeren Übels als pragmatischer Kompromiss, als Ausnahme der üblichen ethischen und politischen Vorstellungen. Es dient als grundlegende Rechtfertigung für die eigentliche Idee der Ausnahme. Die Frage des geringeren Übels entstammt der klassischen Ethik. Es ist ein Kernstück der christlichen Theologie und verlagert sich später in Richtung utilitaristische Philosophie und Liberalismus. Unlängst wurde es vor dem Hintergrund internationaler Bestrebungen zur Eindämmung der Gewaltökonomien im „Krieg gegen den Terror“ öffentlich reanimiert. Es bestimmte ebenfalls die Versuche privater Organisationen, die Paradoxien und Komplizenschaften oppositioneller Aktionen im Zusammenhang mit humanitärer Hilfe zu manövrieren. Die Installation Lesser Evils ist als Keimzelle einer „Mikro-Konferenz“ konzipiert. Sie besteht aus mehreren Diavorträgen, die je eine historische Erzählung präsentieren: Die humanitäre Kampagne für Äthiopien aus dem Jahr 1985 sowie den Kampf israelischer Aktivisten gegen den Mauerbau. Die aufgezeichneten Gespräche mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Geschehnisse eröffnen eine Diskussion über die Art und Weise, auf welche das geringere Übel und die mit ihm verbundene Sprache – jenseits des Horizontes ultimativer Befriedigung – unser bevorzugter Modus politischer Aktion geworden ist.
PALAZZO DELLE POSTE, VIA S.S. TRINITA’ 27, I-38100 TRIENT, ITALIEN
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